„Wir möchten euch zu einem schönen Nachmittag in den Zoo einladen!“, so lautete das Anschreiben, dass Holger Paaschen in seiner Rolle als Mitglied des Leitungsteams des Blinden- und Sehbehindertenvereins Münster und Umgebung an die Mitglieder richtete.
Was die Teilnehmer an diesem Tag im Allwetterzoo Münster erleben konnten, übertrifft diese Worte bei weitem.
Zwei Themenführungen mit animalischen Highlights wurden angeboten. Einmal ging es um die Sinne der Tiere, einmal um die Tiere der Bibel. In den individuellen Führungen wurde unkompliziert und selbstverständlich auf die speziellen Bedürfnisse der blinden und sehbehinderten Teilnehmenden eingegangen. Die Führerinnen Maren Dobslaw und Gudrun Hornschuh erklärten genau und anschaulich, was Sehende mit einem Blick erfassen können. Sie vergaßen dabei nicht, dass Sehbehinderungen sehr individuell sind. So sind einige Teilnehmende seit ihrer Geburt blind, konnten also nie sehen, andere sind im Laufe ihres Lebens erblindet und haben noch genaue Vorstellungen vom Aussehen der Zoobewohner.
Um den fehlenden Sinn, das Sehen, auszugleichen, spielten die weiteren Sinne des Menschen eine wichtige Rolle. So ist vielen Sehenden nicht bewusst, dass Geräusche und Schall einen räumlichen Eindruck vermitteln. Manches Tier kann schon am Geruch oder durch prägnante Lautäußerungen erkannt werden. Eine besonders eindrucksvolle Sinneswahrnehmung ist die Haptik, die Wahrnehmung von Struktur und Konsistenz. Diese wurde durch Exponate wie erstaunlich raues Gepardenfell, stabile Straußeneierschale und diverse Federn vermittelt. Tiere verfügen über Sinne, die den Menschen nicht zur Verfügung stehen.
So war es überraschend zu erfahren, dass sich die in Münster heimisch fühlenden Störche am Magnetfeld der Erde orientieren. Wie genau dies funktioniert ist noch nicht erforscht, man geht davon aus, dass sich die entsprechenden Sinneszellen im Schnabel befinden. So finden die standorttreuen Wahlmünsteraner nach der Winterzeit im Süden immer wieder in ihre Nester zurück. Auch die Geparden verfügen über eine Spezialausstattung. Das sogenannte Tapetum lucidum, eine spiegelnde Schicht im Augenhintergrund sorgt für eine bessere Sicht in der Dämmerung.
Die Elefanten nutzen eine besondere und effektive Art der Kommunikation. Nicht über den Rüssel, wie schnell vermutet wurde. Dieser ist eher als Spezialwerkzeug anzusehen und bringt Laute hervor, die bei Aufregung oder zur Begrüßung genutzt werden. Elefanten erzeugen über ihre Stimmbänder tieffrequente Töne, die sie über ihre Füße in den Boden abgeben. So können sie bis zu 10 km weit kommunizieren, indem die Töne wieder über die Füße aufgenommen und über die Knochen bis an die Ohren weitergeleitet werden. Als Randinformation fiel, dass eine Elefantendame an grauem Star erkrankt war und erfolgreich von einem französischen Spezialisten operiert wurde. Auch Tiere können von Sehbehinderungen und Blindheit betroffen sein, diese Parallele sorgte bei einigen Teilnehmenden für eine gewisse Verbundenheit mit der Zoobewohnerin.
Die angekündigten animalischen Highlights präsentierten sich in Gestalt eines Königspython und einer Kamelgruppe. Die Schlange ließ sich berühren und sorgte mit ihrer kühlen, strukturierten und trockenen Haut für die verschiedensten Gefühle. Zwischen Angst, die überwunden werden konnte bis zu purer Begeisterung war unter den Teilnehmenden alles zu spüren.
In der Gruppe, in der es um die Tiere der Bibel ging, stellten sich einige Kamele zur Verfügung, die gerne Snacks und Streicheleinheiten entgegen nahmen. Auch dort gab es viele interessante Fakten zu erfahren. So sagte es eine Menge aus, ob Könige und Stadthalter auf Eseln oder Pferden ritten. Esel sind dabei nicht ein Ausdruck von Armut, sondern von Frieden, wogegen Pferde für Kriegsabsichten stehen.
Ein weiterer interessanter Fakt ist, dass Kamele es nicht eng und niedrig mögen und deswegen nicht durch ein Nadelöhr passen. Die Führungen wurden durch interessierte Fragen der Teilnehmenden und anschauliche Erklärungen der Führerinnen bereichert, so dass eine interaktive, lebendige Kommunikation entstand, die einen bleibenden Eindruck hinterließ. Über diesen wurde sich bei Kaffee und Kuchen ausgetauscht.
Edith Grämer, die selbst blind ist, hat schon öfter an Führungen teilgenommen und freute sich über die individuellen Informationen. Besonders sei immer der haptischer Eindruck, lebendige Tiere anzufassen ein spezielles Erlebnis. Der blinde Klaus Hahn war schon öfter in Zoos. Der Münsteraner hat dabei keine tierischen Favoriten, er erfreut sich eher an der Geselligkeit. An eine Safari in Südafrika erinnert er sich gerne. Während dieser konnte er das Schmatzen eines Nashornbaby beim Trinken hören. Aber auch Münster hat akustische Besonderheiten zu bieten. Wenn er während seines morgentlichen Arbeitsweges am Zoo vorbei fährt, kann er regelmäßig die Wölfe heulen und die Störche klappern hören.
Holger Paaschen ist sichtlich zufrieden mit dem Ablauf des Zooausflugs. Es lief alles wie geplant und versprochen. Dies ist nicht selbstverständlich, herrscht doch gelegentlich Unsicherheit und Sorge bei der Ankündigung einer Gruppe Blinder und Sehbehinderter. Dabei ist die Unterstützung der Gruppe durch Begleitpersonen selbstverständlich, das muss nicht vom Ausrichter übernommen werden. Dies zeigte sich auch im Zoo.
Holger Paaschen ging es bei der Ausrichtung um das Gruppenerlebnis. Gemeinsam unbeschwerte Zeit zu verbringen, eine Auszeit vom Alltag zu erleben und die Gemeinschaft zu stärken, das ist es, worauf es ankommt. Genau das hat er erreicht, wie man an allen Tischen aus den angeregten Gesprächen hören konnte.
Insgesamt nahmen 40 Personen an diesem gut organisierten Ausflug teil, die sich aus blinden und sehbehinderten Menschen und ihren Begleitpersonen zusammensetzten. Darunter waren auch zwei vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtete Familien, die jeweils ein blindes Familienmitglied haben.
Bei allen Belangen rund um das Thema Sehverlust unterstützt der BSV Münster und Umgebung tatkräftig.