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Münsteranerin mit Assistenzhund vor dem Dom

Assistenzhund unterstützt Münsteranerin

Blindes Vertrauen in Sherlock

MÜNSTER. Als Conni Drauschke am Domplatz mit ihrem Pudel aus dem Bus steigt, bleibt eine ältere Dame stehen: „Das ist aber ein süßer Hund.“ Doch der Hund mit dem Namen Sherlock beachtet die Frau kaum, seine Aufmerksamkeit gilt nur Conni Drauschke. Als Assistenzhund hilft ihr der Königspudel schon seit vier Jahren. Meistens freue sie sich über die Aufmerksamkeit, aber es gäbe auch Tage, da sei „zu viel Aufmerksamkeit anstrengend“.

Vor zehn Jahren erblindete die Rentnerin. Seitdem hat sie auf dem rechten Auge nur noch eine Lichtscheinwahrnehmung und auf dem linken Auge einen Tunnelblick. „Alles wirkt wie Nebel aus einem halben Meter Entfernung oder wie eine stark beschlagene Spiegelscheibe“, erklärt Conni Drauschke. Viel zu früh kam die 60-Jährige auf die Welt. nach nur sechseinhalb Monaten, ein Frühchen. Vier Wochen lag sie daraufhin in einem Brutkasten mit künstlicher Beatmung. Dadurch wuchsen ihre Augäpfel in die Länge. In der Medizin gibt es einen Begriff dafür:

Die sogenannte Frühgeborenen-Retinopathie, besser bekannt als „Brutkasten-Blindheit“.

„Ich habe mit 14 Jahren erfahren, dass ich voraussichtlich mit 40 erblinden werde“, erinnert sich Conni Drauschke. „Meine Eltern haben immer gesagt: Du musst jetzt lernen, blind zu leben.“ Von da an habe Conni Drauschke einmal pro Woche Haushaltstätigkeiten, wie Wäsche, bügeln und aufräumen, mit einer schwarz lackierten Schwimmbrille erledigt. Bis zu ihrem 23. Lebensjahr, als sie von ihrem Elternhaus auszog. 33 Jahre arbeitete Conni Drauschke im Franziskus-Hospital an der Patientenanmeldung. Bis sie immer weniger erkannte: „Ich musste meine Unterlagen zweimal auf DIN A3 vergrößern, um sie noch lesen zu können.“ Ihre Netzhautablösung habe „pünktlich zum 50.

Geburtstag“ begonnen. Ein Arzt habe ihr gesagt, es helfe keine Brille mehr, sondern nur noch eine Operation. Doch alle drei Eingriffe waren vergeblich. Im Februar 2014 war Conni Drauschke fast vollständig erblindet.

„Meine Tochter war damals 15 Jahre alt. Sie musste von heute auf morgen erwachsen werden“, sagt die alleinerziehende Mutter.

Heute ist Conni Drauschke auf die Hilfe ihres Hundes angewiesen. „Vai Casa Marktcafé“, sagt die Rentnerin auf Italienisch, und ihr Vierbeiner führt sie in Richtung des bekannten Marktcafés am Domplatz.

Ihr Hund kennt über 400 Ziele in der Domstadt. „Zu 50 Prozent führe ich die Regie und zu 50 Prozent regelt Sherlock“, sagt sie. Conni Drauschke lernte Sherlock kennen, als dieser im Welpenalter war.

 

Nach der Ausbildung zog der Königspudel im Alter von 22 Monaten bei ihr ein. Die Krankenkasse übernahm die Anschaffungskosten. Diese liegen für gewöhnlich zwischen 35 000 und 42 000 Euro für die speziell ausgebildeten Hunde. Für den Unterhalt bekommt Drauschke eine Pauschale von 201 Euro pro Monat.

 

Sherlock ist schon ihr zweiter Blindenführhund, ihren ersten, eigentlich ihr damaliger Familienhund, bildete Conni Drauschke selbst aus. Unterstützung bekam sie von einem Bekannten, dessen Assistenzhund auch auf italienische Kommandos hörte. Weil sich Conni Drauschke bei Sherlock immer wieder vertat, lernte Sherlock schließlich auch die italienischen Kommandos.

 

Nicht zuletzt deswegen ist der Pudel nur einmal kurz unaufmerksam: als sich Passanten auf dem Domplatz auf Italienisch unterhalten. Doch den Rest des Weges gilt seine Aufmerksamkeit wieder ganz Conni Drauschke.

Ohne Probleme überqueren die beiden die Straße vor dem Marktcafé – denn längst sind sie ein eingespieltes Team.

(Westfälische Nachrichten, Lokalteil Münster, vom 27. Februar 2024)

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